GATE
08
Es war ein wunderschöner Sommertag, als ich auf dem
Flugplatz Köln-Bonn in der Wartehalle saß. Es war noch relativ früh
am Tag und doch lag meine Ehe schon in Trümmern. Gerade hatte ich
meine Mann in Flagranti bei seiner Geliebten in der Wohnung
überrascht, ihm seine unbezahlten Rechnungen überreicht, den
Schlüssel unserer gemeinsamen Wohnung1 zurück verlangt
und wartete nun auf den Rückflug nach Hamburg.
Meine Gedanken waren grau bis dunkelschwarz und wäre es
nicht so früh gewesen, hätte ich sicher auf den gerade erlebten
Schock einen Brandy getrunken.
Ich schaute hinaus aufs
Flugfeld, und war in meinen Gedanken weit weg bei unserem
Kennenlernen damals, als ich plötzlich bemerkte, dass mich jemand
angesprochen hatte. Ich hob überrascht den Kopf und sah in die Augen
eines sehr gut aus sehenden, freundlichen Mannes. Wohl ein bis zwei
Jahrzehnte älter als ich, mit Lachfältchen in den Augenwinkeln.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich, „ich habe Sie nicht
verstanden.“
„Ich fragte, ob ich mich zu Ihnen setzen
dürfte“, antwortete er.
Natürlich durfte er. Warum auch
nicht. Mir war es ziemlich egal. Als er mich wieder ansprach,
schreckte ich abermals aus meinen Gedanken auf.
„Sie sehen
nicht glücklich aus“, meinte er zu mir. Dann machte er mir einen
außergewöhnlichen Vorschlag: Wir würden uns mit ziemlicher
Sicherheit nie wieder begegnen. Was ich davon halte, wenn ich ihm
mein Herz ausschütte und er mir seines. Wir seien beide
unvoreingenommen, was die Probleme des anderen anginge, also könnten
wir einander vielleicht raten.
Ich schaute ihn misstrauisch
an. Was sollte das? Doch da begann er schon zu sprechen. Ich erfuhr
einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte. Bereits nach wenigen
Worten horchte ich gespannt seinen Worten. Was er mir erzählte, ist
nicht wichtig für diese kleine Geschichte. Wichtig ist einzig und
allein, dass er sich mir gegenüber völlig öffnete und sein
momentanes Problem darlegte. Als er geendet hatte, schwieg er –
fragend, wie mir schien.
„Wie soll ich Ihnen raten?“,
fragte ich. „Ich bin viel jünger als sie, viel weniger
lebenserfahren!“
„Gerade das ist das Interessante“,
meinte er. „Sie sehen meine Probleme aus einer völlig anderen
Perspektive. Diese zu erfahren, würde alles für mich in einem
anderen Licht beleuchten.“
Ein wenig gehemmt, dann nach und
nach immer freier, begann ich, meine Meinung zu seinen
Schwierigkeiten kund zu tun. Er hatte sich zurück gelehnt und
lauschte, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Als ich
schwieg, schaute er aus dem Fenster auf das Flugfeld und ich
bemerkte, wie er über meine Worte nachdachte.
Es dauerte
eine Weile, dann sagte er mit einem Blick in meine Augen: „Danke!
Das war sehr aufschlussreich, denn von diesem Standpunkt aus habe ich
die Sache noch gar nicht betrachtet.“ Er machte eine Pause. „Nun
sind Sie aber dran!“
Und als ob ich mit einem alten Freund
sprach, erzählte ich ihm von meiner noch recht jungen Ehe, meinem 16
Jahre älteren, türkischen Mann, dessen Freundin und meiner
Verletztheit. Ganz sachlich, ohne Tränen, ohne etwas zu beschönigen.
Als ich geendet hatte, sprach er sehr ruhig und sachlich zu
mir und erklärte mir seine Sicht der Dinge. Vieles davon war ganz
neu und eine total andere Betrachtungsweise, die mir Stoff für die
nächsten Stunden gab um nachzudenken.
Wie durch einen
Schleier hörte ich den Aufruf meiner Maschine nach Hamburg. Ich
stand auf, der Fremde mir gegenüber ebenfalls. Er küsste meine Hand
und wir wünschten uns gegenseitig alles Gute für die Zukunft und
bei der Lösung unserer Probleme.
Wir gingen auseinander, wie
wir uns begegneten – wir kannten weder unsere Namen, noch unsere
Ziele.
Ich habe so etwas nie wieder erlebt, doch es war ein
gutes Erlebnis. Mir ging es besser, ich sah viele Dinge klarer und
mein Herz war nicht mehr so schwer.
Ich hoffe, dem Fremden
erging es ebenso.
Lilac Namez, Hamburg 1975
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen