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Mittwoch, 30. September 2015

Das Mufflon an meiner Seite


Schlecht gelaunte Männer kommen bei Frauen selten gut an. Besonders, wenn ihre Launen noch starken Schwankungen unterliegen.  Mit einem Dauermauli an ihrer Seite hat Frau nicht mehr viel zu lachen. Eine Leidtragende zieht Bilanz.

Wenn Kummer eine Farbe hat, dann ist es diese Mischung aus glitzerndem Grün und zinnoberrotem Rouge, die mir damals durchs Make-up floss. Ich höre sie noch rauschen, die Sturzbäche aus Tränen, den Resten sündhaft teurer Mascara und eines Lidstriches, für dessen Auftragen ich durch wochenlanges Selbststudium in namhaften Frauenzeitschriften eine halbe Kosmetikerinnenausbildung absolviert habe. Ich wollte toll aussehen bei diesem Fest, der Hochzeit meiner besten Freundin. Und eigentlich standen alle Zeichen gut für einem wunderbaren Tag – bis zu jenem verhängnisvollen Augenblick, in dem mein Freund seiner schlechten Laune freien Lauf ließ.

Es war nicht sein Tag. Beim Einparken vor der Kirche hatte er dem Nummernschild des Schwiegervaters der Braut eine Schramme verpasst, beim Champagnerempfang schüttete ein Blumenkind Cola auf seinen Schuh. Eigentlich war das alles nicht so schlimm – aber für ihn wieder mal ein Beweis dafür, dass das Schicksal gegen ihn war. Und ich sowieso. Schließlich hatte ich mir trotz seiner Misere vorgenommen, mich zu amüsieren, was ihm wiederum ein Beweis dafür war, dass er nie auf meine Solidarität setzen konnte!

Es war wieder einmal so, als hätte er nur nach einem Anlass gesucht, sich fortan mit heruntergezogenen Mundwinkeln an der Bar zu installieren. Als er mir dann auch noch sagte, dass mein Kleid für eine Frau von Mitte 30 zu gewagt sei, konnte ich die Tränen gerade noch bis zur Toilette zurückhalten. Jetzt stand ich vor dem Spiegel, betrachtete die zwei fetten Farbstriche unter meinen Augen und schwor Rache für jede Minute, die mir dieser Mann mit seinen schlechten Launen vermiest hatte.

Eine Beziehung mit einem launischen Partner ist wie Schlittern über dünnes Eis. Doch das Schlimmste daran sind nicht die Einbrüche, sondern ihre Unberechenbarkeit. Da verabredet man sich zu einem romantischen Abendessen, schwelgt in gemeinsamen Erinnerungen, flüstert sich Zärtlichkeiten zu – und dann, ganz plötzlich kippt die Stimmung, weil frau den Kellner eine Spur zu nett angelächelt oder nicht gebührend auf einen Kommentar des Gegenübers reagiert hat.

Meine Freundin Gabi steht um fünf Uhr morgens auf, um dem Gatten ein Nutellabrot auf den Nachttisch zu legen, damit sie nicht am frühen Morgen schon die unschönen Folgen seiner Unterzuckerung zu spüren bekommt. Anja dreht hektisch das Radio leise, wenn sie den Schlüssel in der Tür hört und stolpert ins Bad, um noch mal schnell zu kontrollieren, ob sie die Zahnpastatube auch wirklich zugeschraubt hat.

Die schöne Ramona aber greift zur ältesten Methode der Welt, wenn der Herr und Gebieter beim Abendessen aus irgendeinem Grund plötzlich wortkarg wird und seine Augenbrauen beginnen, sich gefährlich zusammenziehen – dann zieht sie sich einfach aus und mimt die lüsterne Hausfrau. „Gelingt immer“, sagt sie. Und auch Anja und Gabi halten ihre Männer mit ihrem vorauseilenden Gehorsam tatsächlich bei Laune. Zumindest für einen Augenblick.
Andere Frauen sind wieder mal selber Schuld.

Dauerhaft aber nützen all jene Methoden so viel wie ein Schmerzmittel gegen Zahnweh. Weniger noch: Es ist, als würde man versuchen, mit klebrigen Bonbons ein Loch im Zahn zu stopfen. Denn Anja, Gabi und Ramona füttern die Launen ihrer Partner wie ein Süßigkeitssüchtiger seine Karies. Und tatsächlich ist die Reizbarkeit eines unleidlichen Gegenübers mit nichts besser zu vergleichen als mit schleichender Zahnfäule, die nicht nur wehtut, sondern auf Dauer den Biss raubt. Denn sie kratzt nicht nur gefährlich am Selbstwertgefühl, sondern erschüttert auch ganz mächtig die Beziehung. Wer mag schon das Leben, geschweige denn das Bett, mit einem Mann teilen, dessen Charme irgendwo zwischen dem eines Elektrozauns und einer beleidigten Leberwurst liegt?


Dabei sind wir Frauen wieder mal selber Schuld. Ich habe das schon als Kind nicht verstanden: Die Familie sitzt am Frühstückstisch. Papas Blick verrät, dass er schlecht geschlafen hat und den anstehenden Geschäftstermin am liebsten auf den Sanktnimmerleinstag verschieben würde. Da streicht Mama ihm mit zarter Hand über die zu Berge stehenden Haare: „Manfred, du siehst schlecht aus.“ Papa schweigt. „Komm, trink noch ein Glas Buttermilch, die magst du doch so gern.“ Papa schweigt. „Darf ich dir ein Brot mit dem Emmentaler schmieren?“ Papa schweigt. „Guck mal, ich hab dir extra bei Schlachter Holste den leckeren Fleischsalat gekauft ...“ Papa brüllt.


Es ist ja nicht nur so, dass wir den Männern mit unserer Fürsorge auf die Nerven gehen, wir züchten uns die verwöhnten Tyrannen selber heran. Wenn ich meinem kleinen Sohn die Wahl lasse zwischen „Michel aus Lönneberga“, „Pipi Langstrumpf“ und der „Sendung mit der Maus“, dann brüllt er, weil ich ihm „Winnetou I“ verweigere. Lass ich ihn aber so gut wie nie fernsehen, dann überschüttet er mich mit selbstgemalten Bildern und Knetfiguren aus lauter Dankbarkeit für eine gelegentliche Begegnung mit dem „Sandmännchen“.

Mit den launischen Partnern ist es genauso: Man muss sie kurz halten. Je mehr wir uns um sie bemühen, desto selbstverständlicher nehmen sie unsere Zuwendung – und treten sie bisweilen mit Füßen. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass das Gen HTR2C die Schuld an schlechter Laune trägt. Es steuert die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin, das je nach Konzentration die Menschen friedfertiger oder aggressiver macht. Warum Menschen bei gleicher Konzentration dennoch auch unterschiedlich reagieren können, bleibt vorerst ein Rätsel.


Das bringen Beziehungen nun mal so mit sich.

Tatsache ist, dass er uns irgendwann alle einholt, der Augenblick, in dem man das genüssliche Lecken über den Joghurtdeckel nicht mehr als niedliche Marotte betrachtet, sondern als Zumutung. In dem man nicht weiß, ob man nicht lieber in einem Bushäuschen sein Dasein fristen möchte, statt in dem beschaulichen Reihenhaus im Grünen bis zum Ende seiner Tage die regelmäßigen Rülpser nach einer Flasche Bier zu ertragen. Er kommt irgendwann: der Augenblick, in dem man von dem geliebten Menschen an seiner Seite genervt ist. Das, so der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann, bringen Beziehungen nun mal so mit sich.
Das sei der Preis für die Unterschiedlichkeit von Partnern, die ja wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass eine Beziehung in vielerlei Hinsicht fruchtbar ist. Doch das kann man sich noch so bewusst vor Augen halten: Die schmutzigen Socken, nach denen man sich spätestens seit der Hochzeit täglich bückt, bringen einen trotzdem auf die Palme – und verderben die Laune. Was sich liebt, das nervt sich. Männer und Frauen passen eben doch nicht wirklich zusammen.

Was sie dennoch zusammenhält, ist das stete Bemühen, die positiven nicht von den negativen Gefühlen überschatten zu lassen, eine Beziehung als Freundschaft zu betrachten, in der man sich immer wieder aufs Neue Achtung, Wertschätzung schenkt. Und in der man über die Macken des anderen und die eigenen auch einfach mal lachen kann.

"Sei kein Pfannkuchen"

Mit dem Dauermauli an meiner Seite gab es nichts mehr zu lachen. Als ich damals in der Toilette des Schlosshotels mein verquollenes und verschmiertes Gesicht betrachtete, war es plötzlich wie eine Offenbarung. Was tue ich mir hier an? Wie konnte ich es so lange ertragen, immer in Habachtstellung zu sein, angespannt darauf bedacht, nur nichts falsch zu machen? Ich wollte nicht länger mein Leben mit einem Menschen teilen, der drauf und dran war, mich in den Sog seiner eigenen ständigen Unzufriedenheit zu reißen. Ich wusch mein Gesicht, atmete drei Mal tief durch und stolzierte zurück in den Saal.

Dann stellte ich mich vor den genervten Mann an der Bar und setzte gerade an zu einer Tirade an Bosheiten, die allem ein Ende bereiten sollte, als ich mich doch eines Besseren besann: Ich hatte viel zu lange mein Lebensgefühl von ihm bestimmen lassen, jetzt wollte ich mich nicht auch noch auf sein Niveau herablassen. Stattdessen sagte ich ihm, was ich ihm schon längst hätte sagen sollen. Dass er sich seiner eigenen Lebensfreude beraubt mit einer Haltung, die nur darauf wartet, dass wieder etwas nicht so klappt, wie er es sich vorgestellt hat. Und dass unsere Beziehung so nicht weiter geht.

Wirklich, ich meinte es gut. Ich wollte es noch mal versuchen. Und er? Er fand es wieder mal typisch, dass ich ausgerechnet an einem Fest eine Grundsatzdiskussion anfangen wollte. Lag es an dem Duft, der vom dem gerade eröffneten Kuchenbuffet in meine Nase stieg? Ich hörte gar nicht mehr auf sein Gemecker, ich hörte nur noch auf eine innere Stimme, die immer lauter wurde. „Sei kein Pfannkuchen“, hatte meine Mutter gesagt, nachdem ihr irgendwann bewusst wurde, dass sie sich auch selbst einen launischen Mann herangezüchtet hat.

„Wer sich zum Pfannkuchen macht, muss sich nicht wundern, wenn er gefressen wird.“ Ich ging zum Buffet, legte zwei besonders schöne Exemplare des zuckerigen Schmalzgebäcks auf den Teller und brachte sie an die Bar. Ich biss genüsslich in den einen. Den anderen überreichte ich ihm als offizielles Abschiedsgeschenk.

(Autor unbekannt) 


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