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Mittwoch, 30. September 2015

GATE 08

Es war ein wunderschöner Sommertag, als ich auf dem Flugplatz Köln-Bonn in der Wartehalle saß. Es war noch relativ früh am Tag und doch lag meine Ehe schon in Trümmern. Gerade hatte ich meine Mann in Flagranti bei seiner Geliebten in der Wohnung überrascht, ihm seine unbezahlten Rechnungen überreicht, den Schlüssel unserer gemeinsamen Wohnung1 zurück verlangt und wartete nun auf den Rückflug nach Hamburg.



Meine Gedanken waren grau bis dunkelschwarz und wäre es nicht so früh gewesen, hätte ich sicher auf den gerade erlebten Schock einen Brandy getrunken.

Ich schaute hinaus aufs Flugfeld, und war in meinen Gedanken weit weg bei unserem Kennenlernen damals, als ich plötzlich bemerkte, dass mich jemand angesprochen hatte. Ich hob überrascht den Kopf und sah in die Augen eines sehr gut aus sehenden, freundlichen Mannes. Wohl ein bis zwei Jahrzehnte älter als ich, mit Lachfältchen in den Augenwinkeln.

„Entschuldigen Sie“, sagte ich, „ich habe Sie nicht verstanden.“

„Ich fragte, ob ich mich zu Ihnen setzen dürfte“, antwortete er.

Natürlich durfte er. Warum auch nicht. Mir war es ziemlich egal. Als er mich wieder ansprach, schreckte ich abermals aus meinen Gedanken auf.

„Sie sehen nicht glücklich aus“, meinte er zu mir. Dann machte er mir einen außergewöhnlichen Vorschlag: Wir würden uns mit ziemlicher Sicherheit nie wieder begegnen. Was ich davon halte, wenn ich ihm mein Herz ausschütte und er mir seines. Wir seien beide unvoreingenommen, was die Probleme des anderen anginge, also könnten wir einander vielleicht raten.

Ich schaute ihn misstrauisch an. Was sollte das? Doch da begann er schon zu sprechen. Ich erfuhr einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte. Bereits nach wenigen Worten horchte ich gespannt seinen Worten. Was er mir erzählte, ist nicht wichtig für diese kleine Geschichte. Wichtig ist einzig und allein, dass er sich mir gegenüber völlig öffnete und sein momentanes Problem darlegte. Als er geendet hatte, schwieg er – fragend, wie mir schien.

„Wie soll ich Ihnen raten?“, fragte ich. „Ich bin viel jünger als sie, viel weniger lebenserfahren!“

„Gerade das ist das Interessante“, meinte er. „Sie sehen meine Probleme aus einer völlig anderen Perspektive. Diese zu erfahren, würde alles für mich in einem anderen Licht beleuchten.“

Ein wenig gehemmt, dann nach und nach immer freier, begann ich, meine Meinung zu seinen Schwierigkeiten kund zu tun. Er hatte sich zurück gelehnt und lauschte, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Als ich schwieg, schaute er aus dem Fenster auf das Flugfeld und ich bemerkte, wie er über meine Worte nachdachte.

Es dauerte eine Weile, dann sagte er mit einem Blick in meine Augen: „Danke! Das war sehr aufschlussreich, denn von diesem Standpunkt aus habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet.“ Er machte eine Pause. „Nun sind Sie aber dran!“

Und als ob ich mit einem alten Freund sprach, erzählte ich ihm von meiner noch recht jungen Ehe, meinem 16 Jahre älteren, türkischen Mann, dessen Freundin und meiner Verletztheit. Ganz sachlich, ohne Tränen, ohne etwas zu beschönigen.

Als ich geendet hatte, sprach er sehr ruhig und sachlich zu mir und erklärte mir seine Sicht der Dinge. Vieles davon war ganz neu und eine total andere Betrachtungsweise, die mir Stoff für die nächsten Stunden gab um nachzudenken.

Wie durch einen Schleier hörte ich den Aufruf meiner Maschine nach Hamburg. Ich stand auf, der Fremde mir gegenüber ebenfalls. Er küsste meine Hand und wir wünschten uns gegenseitig alles Gute für die Zukunft und bei der Lösung unserer Probleme.

Wir gingen auseinander, wie wir uns begegneten – wir kannten weder unsere Namen, noch unsere Ziele.

Ich habe so etwas nie wieder erlebt, doch es war ein gutes Erlebnis. Mir ging es besser, ich sah viele Dinge klarer und mein Herz war nicht mehr so schwer.

Ich hoffe, dem Fremden erging es ebenso.


Lilac Namez, Hamburg 1975

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